Was ich mir nach der Geburt gewünscht hätte (und es hat nichts mit Fotografie zu tun) – Interview mit einer Mütterpflegerin
Als ich zum ersten Mal von Melissa und ihrer Arbeit als Mütterpflegerin in München gehört habe, dachte ich: „Warum wusste ich nicht schon früher davon?!“

Melissa unterstützt Mütter in den ersten Wochen nach der Geburt – eine Zeit, die oft voller Herausforderungen ist. In unserem Gespräch geht es um die Bedeutung, ehrlich über das Wochenbett zu sprechen, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu akzeptieren sowie die emotionalen Hürden, mit denen neue Eltern konfrontiert sind. Melissa erklärt, wie sie individuell auf die Familien eingeht und ihnen wertvolle Unterstützung bietet. Vielleicht ist ihre Hilfe auch für dich interessant?
Kasia Warpas: Melissa, kannst du erzählen, was eine Mütterpflegerin ist und wie sie sich von einer Doula unterscheidet? Ich habe gelesen, dass eine Mütterpflegerin im Englischen oft als „postpartum doula“ bezeichnet wird. Stimmt das?
Melissa Just: Ja, genau. Die Mütterpflegerin unterscheidet sich von der Doula dadurch, dass sie bei der Geburt nicht dabei ist und hauptsächlich im Wochenbett unterstützt. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen sie schon vor der Geburt helfen kann – zum Beispiel, wenn die Mutter vor der Geburt liegen muss, insbesondere wenn bereits ein oder mehrere ältere Kinder da sind und der Vater arbeiten muss. Auch ohne Kinder kann die Mutter Unterstützung bekommen, wenn sie sich nicht um den Haushalt kümmern kann.
Für welchen Zeitraum kann man diese Unterstützung bekommen?
Meistens erhält man sie für das Wochenbett, also für die ersten ein bis zwei Monate. Je nachdem, was die Mutter benötigt, kann die Unterstützung aber auch für einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen oder später erneut beantragt werden. Grundsätzlich kann man eine Mütterpflegerin bis zu dem Zeitpunkt beantragen, an dem das älteste Kind im Haushalt – je nach Krankenkasse – 12 oder 14 Jahre alt ist. Es gibt zwei Paragrafen: §24 SGB V ist für die Unterstützung im Wochenbett gedacht und wird meist vollständig übernommen, während bei späterer Unterstützung, z.B. nach einer Operation, §38 SGB V gilt, bei dem nur ein Teil der Kosten gedeckt wird.
Wenn man dich für das Wochenbett bucht, macht man das vor der Geburt?
Manche Frauen wissen ja schon vorab, dass sie z.B. einen Kaiserschnitt bekommen werden oder dass das Wochenbett für sie beim ersten Mal schon sehr herausfordernd war. Diese Frauen kümmern sich oft schon in der Schwangerschaft darum. Zuerst muss man eine Mütterpflegerin finden, die Kapazität hat. Den Antrag bei der Krankenkasse kann man aber erst nach der Geburt stellen. Dann braucht man ein Attest von einem Arzt. Je nach Bedarf genehmigt die Krankenkasse eine bestimmte Stundenzahl oder Zeitraum. Manche Frauen zahlen die Unterstützung auch privat und sind dabei natürlich frei in ihrer Entscheidung.
Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Mütterpflegerin zu werden?
Die Themen rund um Schwangerschaft und die ersten Kinderjahre haben mich schon immer interessiert. Ich habe Amerikanistik studiert und als Nebenfächer Psychologie und Volkskunde gewählt. Meine Magisterarbeit hatte das Thema „Teen Pregnancy von den 50er Jahren bis heute“. In Volkskunde hatte ich das Prüfungsthema „Hausgeburt“ und „Familientisch“, und in Psychologie habe ich mich mit Frühförderung beschäftigt.
Wow! Also alles irgendwie mit der Arbeit als Mütterpflegerin verbunden!
Ja, alles war schon irgendwie da. Ich wusste eigentlich schon lange, dass ich in diese Richtung gehen wollte. Aber für die Ausbildungen, wie Doula oder Familienbegleiterin, war es oft Voraussetzung, selbst ein Kind bekommen zu haben, um das Thema besser zu verstehen. Das hatte ich mit Mitte 20 noch nicht und musste warten, bis ich selbst Kinder bekam. Während der Corona-Zeit habe ich dann das Hauptseminar von artgerecht bei Nicola Schmidt besucht, und dabei fiel mir wieder ein, dass es die GfG – die Gesellschaft für Geburtsvorbereitung, Familienbildung und Frauengesundheit – gibt, die unter anderem Doulas, Familienbegleiterinnen und Mütterpflegerinnen ausbildet. Und jetzt hatte ich ja eigene Kinder! Also meldete ich mich da zunächst für die Familienbegleitung an, weil ich Geburtsvorbereitungskurse geben wollte.
Geburtsvorbereitungskurse? Woher kam diese Idee?
Tatsächlich hat meine Mutter schon Geburtsvorbereitungskurse gegeben. Sie hat mich und meine Schwestern zuhause geboren. Das war für mich, als ich aufgewachsen bin, ganz normal und mir war immer klar, dass ich meine Kinder wenn möglich auch zuhause bekommen möchte. Es waren zwei wunderbare Geburten. Allerdings kannte ich von vielen Freundinnen und Bekannten auch ganz andere Geburtserfahrungen und habe mich gefragt, wie ich Frauen unterstützen kann, dass sie auch ein tolles Geburtserlebnis haben. Durch die Gespräche die ich führte und Literatur, die ich recherchierte, bekam ich das Gefühl, dass einige Frauen mit dem Eintritt in das Krankenhaus ihre Mündigkeit abgaben und sich teilweise auch nicht ausreichend mit dem ganzen Thema Geburt und speziell der Geburt im Krankenhaus auseinandergesetzt hatten. Mein Traum war es, Frauen über die Möglichkeiten rund um Geburt zu informieren und sie zu empowern.

Spannend. Und wie ging es weiter mit deiner Ausbildung?
Ich habe mich also für die Familienbegleitung beworben. In der Zwischenzeit habe ich eine Fortbildung bei der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.als Fenkid Kursleiterin gemacht und im Sommer 2022 angefangen, Kurse zu geben. Kurz darauf konnte ich dann auch mit der Weiterbildung als Familienbegleitungs bei der GfG in Präsenz in München beginnen.
Und wie bist du schließlich zur Mütterpflegerin geworden?
Während der Ausbildung mussten wir Lehrproben halten, und mein Thema war das „Wochenbett“. Als ich mich darauf vorbereitete, merkte ich, wie stark ich dafür brenne und wie sehr ich dieses Thema noch verarbeiten musste, vor allem wegen meines zweiten Wochenbetts. Viele wissen wenig über das Wochenbett, weil kaum darüber gesprochen wird. Viele beißen einfach die Zähne zusammen und denken sich, die anderen haben es doch auch geschafft, da werde ich es ja auch schaffen. Das Thema wird oft nicht angesprochen, weil man niemanden ängstigen möchte. Aber ich sah, wie oft Frauen sich in dieser Zeit ausgeliefert und allein fühlen – und dass ich da helfen möchte. Bei der GfG konnte ich zu dem Zeitpunkt auch das Modul „Mütterpflege“ belegen, und ich meldete mich sofort dafür an.
Du meintest gerade, dass du dein zweites Wochenbett noch verarbeiten müsstest. Magst du davon erzählen?
Mein zweites Wochenbett war leider nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Erst später hörte ich von der Möglichkeit einer Mütterpflegerin und dachte mir: Warum wusste ich davon nicht? Diese Unterstützung hätte uns allen so geholfen – mir, meinem Mann und meinem älteren Sohn. Viele von uns leben in Großstädten, oft weit entfernt von der Familie, oder die Großeltern sind weniger involviert. Der Druck auf Frauen ist groß, alles perfekt machen zu müssen. In den ersten Wochen stellt man die eigenen Bedürfnisse oft stark zurück, aber trotzdem braucht es Unterstützung. Die Natur hat nie vorgesehen, dass man es alleine schafft.
Davon hat mir auch niemand im Geburtsvorbereitungskurs erzählt, wie schwer oder einsam es sein kann.
Ja, genau. Deswegen ist es mir wichtig, in meinen geplanten Kursen das Wochenbett nicht zu sehr in Watte zu packen. Also, schon ehrlich zu sein. Dann kann man zumindest hinterher nicht sagen, „das hat keiner gesagt“. Es ist keine rosarote Wolken-Zeit, sondern eine Phase mit vielen Höhen und Tiefen. Allein emotional ist es eine Herausforderung, was die Hormone mit einem machen. Dann kommt diese neue Verantwortung dazu, für das Baby. Allein auf der psychischen Ebene ist das schon enorm, und dann kommen noch die körperlichen Aspekte hinzu.
Klar, wir haben alle so eine Idealvorstellung davon, wie wir als Mamas sein werden – vor allem beim ersten Kind. Aber niemand sagt einem, dass man loslassen muss und dass es völlig okay ist, wenn am Anfang einiges liegen bleibt. Und das gilt noch mehr beim zweiten oder dritten Kind.
Das ist eine besondere Herausforderung, wenn wir ein zweites Kind bekommen. Das kann psychisch sehr anstrengend sein. Natürlich hat man genug Liebe für zwei oder drei oder mehr Kinder, aber diese Liebe ist vielleicht nicht sofort da. Sie muss auch wachsen und Raum bekommen, um sich zu entfalten. Vielleicht hat man das Gefühl, dem ersten Kind etwas wegzunehmen, weil man nicht mehr so verfügbar ist. Da kann ich helfen, wie bei einer aktuellen Familie, die ihr drittes Kind bekommen hat. Ich nehme das Baby, damit die Mutter mit den älteren Kindern in Ruhe lesen kann, ohne dass das Baby dabei ist oder sie etwas dafür tun muss.
Kannst du mehr davon erzählen, wie du mit den Familien zusammenarbeitst und welche Unterstützung du genau gibst?
Zuerst führe ich ein Erstgespräch mit der Familie, in dem wir besprechen, was sie brauchen. Viele wissen oft gar nicht genau, was eine Mütterpflegerin eigentlich macht. Ich erkläre, was ich alles anbieten kann, wie z.B. für sie einkaufen zu gehen, zu kochen, einfach da zu sein und zuzuhören oder mit dem Baby spazieren zu gehen. Ich erkläre auch, was ich auf jeden Fall nicht mache. Die Mütterpflegerin in Deutschland ist bei der Krankenkasse als Haushaltshilfe eingestuft. Das ist irreführend. Viele denken, es handle sich um jemanden, der den Haushalt übernimmt. Ich mache deutlich, dass ich keine Putzfrau bin und z.B. niemals das Bad putzen werde.
Anschließend besprechen wir, warum die Familie eine Mütterpflegerin braucht und was ihnen am meisten hilft und entlastet. Bei manchen ist das Thema Essen besonders wichtig, und sie möchten, dass ich hauptsächlich für sie koche. Bei anderen kann es eine Mischform sein. Ich kann auch die Mutter mit dem Baby zum Arzt begleiten, gehe dann mit dem Baby spazieren, und sie kann in Ruhe zum Termin gehen. Ich kann auch eine Bauchmassage anbieten.
Im Endeffekt passe ich mich den Bedürfnissen der Familie an. Zum Beispiel ist bei einer Mutter mit drei Kindern die größte Entlastung, wenn ich die älteren Kinder von der Kita abhole, damit sie alleine mit dem Baby zu Hause sein kann. Am Nachmittag bin ich dann da, nehme das Baby, sodass sie mit den Großen spielen oder etwas lesen kann, und helfe anschließend beim Zubereiten des Abendessens.

Was sind häufige emotionale Herausforderungen für neue Eltern, und wie kannst du helfen?
Viele Mütter fühlen sich überfordert oder haben das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Da ist es wichtig, ihnen positives Feedback zu geben und zu zeigen, dass sie alles gut machen – und dass Perfektion nicht nötig ist. Man wächst erst in diese Rolle hinein.
Eine andere Herausforderung ist das Alleinsein. Hebammen haben oft wenig Zeit, und da komme ich als Mütterpflegerin ins Spiel: Ich kann da sein, einfach zuhören, und wenn gewünscht, auch Tipps geben. Aber vor allem bin ich einfach da. Ich bestärke die Mütter darin, ihren eigenen Weg zu gehen, ohne sich von äußeren Idealen stressen zu lassen.
Im Wochenbett können sich die Tage sehr lang anfühlen, und trotzdem vergeht die Zeit schnell. Manchmal verschwimmt alles, und es fühlt sich an, als würde dieser Zustand ewig dauern. Ich helfe den Müttern zu sehen, wie viel sie schon geschafft haben – oft fühlt sich die Welt bald wieder ganz anders an. Und natürlich achte ich auch darauf, dass die Grundbedürfnisse der Mutter im Blick bleiben, nicht nur die des Babys.
Das, was du sagst, geht mir sehr nahe. In der Geburtsfotografie möchte ich, dass die Mütter sich selbst in dieser Veränderung sehen und wahrnehmen, was sie alles geschafft haben. Es geht ja nicht nur um das Baby – das ist mir total wichtig. Deine Arbeit knüpft genau da an, wo ich mit der Geburt beginne. Das finde ich toll! Was machst du, wenn du merkst, dass eine Mutter an einer Wochenbettdepression leidet? Kannst du ihr da helfen?
Die Wochenbettdepression setzt meist erst etwas später ein, am Ende des Wochenbetts. Aber natürlich spreche ich das offen an, wenn ich das Gefühl habe, dass es wichtig ist. Ich gehe grundsätzlich offen mit psychischer Gesundheit um und signalisiere, dass es okay ist, darüber zu reden. Wenn Frauen spüren, dass ich ein offenes Ohr habe, fällt es ihnen oft leichter, ihre Sorgen anzusprechen. Dann kann ich sie sanft ermutigen, sich noch mehr Hilfe und Unterstützung zu holen.
Du bist diese gute Freundin, die sich jede Frau nach der Geburt in ihrer Nähe wünscht. Danke Melissa! Hast du noch ein paar abschließende Worte?
An alle Frauen, die das lesen und denken, wie schön es gewesen wäre: Jede kann Mütterpflegerin werden! Es gibt nie genug von uns, und diese Arbeit ist so erfüllend und sinnvoll. Man gibt viel, aber man erhält auch viel zurück.
Melissa Just
bietet in München eine Vielzahl an Kursen für werdende und junge Eltern an. Als Mütterpflegerin und GfG-Familienbegleiterin begleitet sie dich sicher durch die ersten Wochen mit deinem Baby. In ihren FenKid-Kursen und Geburtsvorbereitungskursen lernst du alles, was du für einen entspannten Start in das Elternleben brauchst. Mehr Infos und Anmeldung unter: @mutterwerden.elternsein
Möchtest du mehr über die Ausbildung zur Mütterpflegerin erfahren? Bei Der Mütterpflegeschule Deutschland findest du alle wichtigen Informationen.
